Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit The Very End (21.01.2011)

The Very End

Selbst in der atuellen Thrash-Welle, die viel Durchschnittliches und Langweiliges anspült, versteckt sich manche Perle. So wie "Mercy & Misery", das zweite Album der Ruhrpott-Thrasher THE VERY END, das unheimlich variabel und facettenreich daherkommt, ebenso melodische wie brutale Momente bereithält. Gitarrist und Bandgründer Rene Bogdanski gab gut gelaunt Auskunft über die Musik und die vorhandenen Ambitionen der Band.  

 

Hallo Rene, schon vor der Veröffentlichung von „Mercy & Misery“ gab es reichlich Vorschusslorbeeren, auch von vielen anderen Musikern. Seid Ihr so gut vernetzt, trefft Ihr Euch häufiger mal mit Tom Angelripper zum Bier um die Ecke und haltet ihm dann im Rausch ein Mikro vor die Nase oder wie kommt’s, dass ihr als relative Newcomer schon so ein Standing habt?

Du musst nur ein paar kräftige Russen kennen, mit denen du den Leuten einen Besuch abstattest und dann läuft das schon mit den Lorbeeren (lacht). Nee, Spaß beiseite. Man kann schon sagen, dass wir inzwischen ganz gut vernetzt sind. Den Tomas Lindberg oder Nick Barker kennt unser Sänger Björn zum Beispiel. Und besonders die Metalszene im Ruhrgebiet ist ja im Grunde genommen ein Dorf. Im Falle von Tom ist es so, dass unser Marc ja auch bei Onkel Tom Bass spielt und dadurch ein sehr direkter Draht besteht. Uns macht es natürlich sehr stolz, dass der Sound unseres Albums maßgeblich dazu beigetragen hat, dass es für die neue Sodom-Platte zu der Zusammenarbeit mit Waldemar Sorychta kam. 


The Very EndIhr selbst bezeichnet Euren Stil als „Ruhrpott Thrash“. Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, aber bei „Ruhrpott Thrash“ denke ich zu allererst an Bands wie Sodom - Ihr klingt aber wesentlich filigraner, musikalischer, und Ihr habt eine größere Bandbreite. Glaubst Du nicht, dass dieser Begriff etwas irreführend sein könnte?

Ich denke dabei eher an den musikalischen Ansatz, den wir verfolgen. Der kommt dem der damaligen Thrash-Bands eigentlich sehr nahe, auch wenn sich die Musik heute natürlich anders anhört. Immerhin liegen ja auch inzwischen gut 30 Jahre dazwischen. Sodom und Kreator klingen heute auch ganz anders als vor 20 Jahren. Bei uns kommen eben noch andere Einflüsse dazu, die die Bands von früher einfach noch nicht haben konnten. Thrash Metal hatte immer schon viele Facetten - besonders wenn du ins Amerika der Achziger Jahre schaust. Das Genre wird aus meiner Sicht erst heute so eng gesteckt. Früher war Thrash dem Punk sehr nah und auch damals gab es sehr filigrane Thrash-Alben. Nimm zum Beispiel die Kill'em all. Manche Einflüsse der damaligen Ruhrpott-Thrasher sind bei uns etwas subtiler und nicht auf Anhieb hörbar. Schau dir etwa Milles Spieltechnik bei der Rythmusgitarre an. Wo es geht, spielt er die typischen Thrash-Riffs konsequent mit Downstrokes. Das macht einen größeren Unterschied beim Sound aus als man meint. Das ist etwas, was wir exakt so übernehmen. Auch wenn es echt unökonomisch ist, ballert das Riff einfach mehr.

Man merkt durch und durch, wie engagiert Du bei der Sache bist. Ebenso wie die Musik auf „Mercy & Misery“ scheint ohnehin Eure Arbeitsweise sehr fokussiert zu sein: Ihr seid im Internet und sozialen Netzwerken sehr aktiv, Ihr habt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet. Es scheint, als ob Ihr mit der Band eine ganze Menge vorhättet und das Ganze weit mehr als nur ein Hobby nach Feierabend ist...

Die Internetpräsenz ist ein wenig meinem beruflichen Background geschuldet, da ich im Social-Media-Bereich tätig bin. Darüber hinaus haben wir auch tolle Unterstützung durch unsere Freundinnen oder freiwilligen Helfern. Die Homepage zum Beispiel hat Carsten Loer von Cypher's X Webdesign gebaut. Er begleitet die Band schon seit etlichen Jahren und hatte sich nun angeboten, uns zu helfen. Solche Leute sind für uns als Band natürlich unbezahlbar. Was unsere eigene Arbeit angeht, sind wir stets um maximale Professionalität bemüht. Dass wir nun eine Firma gegründet haben, war eher eine logische Konsequenz als irgend etwas anderes. Auch wenn unterm Strich immer noch nicht viel übrig bleibt, wechselt bei so einem Bandbetrieb schon recht viel Geld den Besitzer. Uns war wichtig, dass wir nicht irgendwann Probleme mit dem Finanzamt bekommen würden. Natürlich ist THE VERY END inzwischen mehr als nur ein Spaß nach Feierabend. Alleine der Arbeitsaufwand, der anfällt ist inzwischen immens. Manchmal wird es auch eng, den Job, das Privatleben und die Band ordentlich unter einen Hut zu bekommen. Viele Bands scheitern auch genau an diesen Aspekten.


The Very EndZu dieser fokussierten Arbeitsweise passt auch der Labelwechsel, vom eher kleinen Dockyard1 zu SPV, einem Branchenriesen, der nach überstandener Insolvenz wieder auf Kurs zu sein scheint. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Nachdem Dockyard1 die Schotten dicht gemacht hatten, standen wir erst einmal wieder am Anfang, was ganz schön frustrierend war. Wir wollten nicht schon wieder ein Demo machen und hatten eigentlich schon alles auf ein neues Album ausgerichtet. Wir waren von unserem Material so überzeugt, dass wir sicher waren, damit wieder ein Label zu finden. Wir sind erst einmal auf volles Risiko gegangen und haben alles vorfinanziert. Dass wir dann bei so einem Label landen würden, haben wir uns damals noch nicht vorstellen können. Der Rest war dann einfach eine ordentliche Portion Glück.

Kommen wir auf „Mercy & Misery“ zu sprechen. Eigentlich ist eine Thrash-Band auf einer recht schmalen Straße unterwegs - wie schafft Ihr es, Eure Songs so abwechslungsreich klingen zu lassen, dass man meinen könnte, Ihr wärt auf einem sechsspurigen Highway unterwegs?

Das ist ganz einfach. Wir denken uns einfach überhaupt nichts in Richtung Genrebeschränkung. Zu allererst geht es darum, dass wir coole Riffs spielen und dann gucken, was gut zusammenpasst. Wo kann man gute Breaks machen, was hat Potenzial zu einem guten Refrain und so weiter. Für mich ist ein gutes Riff erstmal vor allem ein gutes Riff. Da ist es egal, ob das mehr nach Death Metal oder sonst wie klingt. Die Mischung kommt dann durch die unterschiedlichen musikalischen Vorlieben der einzelnen Bandmitglieder. Das ist vielleicht das Besondere, dass bei THE VERY END jedes einzelne Mitglied in den Songwritingprozess involviert ist und wir unsere Kreativität eben nicht künstlich beschneiden durch irgendwelches Spartendenken.


Mein persönliches Highlight der Scheibe ist „Dead Is The New Alive“ - wie sieht’s bei Dir aus, hast Du einen aktuellen Lieblingstrack, und wenn ja, warum?

Nicht so wirklich, das wechselt immer wieder. Das ist übrigens interessant, dass jeder irgendwie einen anderen Lieblingstrack hat. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich zur Zeit Rat Nation nehmen. Das Riffing ist in den Strophen sehr At the Gates-like, den Refrain mag ich besonders wegen des Gesangs und der Mittelteil ist eine der Stellen, auf die ich als Gitarrist recht stolz bin, da ich das Zusammenspiel von akkustischer, leicht spanisch angehauchter und schwebender Leadgitarre sehr gelungen finde.

 

„Mercy & Misery“ läuft ziemlich genau eine Dreiviertelstunde lang, früher die klassische Länge für ein Album. Allerdings sind mit dem „Immigrant Song“ und „Maniac“ gleich zwei Coverversionen enthalten. Sind Euch die Ideen ausgegangen? Während „Maniac“ für meinen Geschmack eher verzichtbar ist, habt Ihr es beim „Immigrant Song“ geschafft, den Track wie einen eigenen Song klingen zu lassen.

Ich wundere mich ehrlich gesagt etwas über die negativen Reaktionen durch die Presse zu den Coversongs. Ich bin bei Covernummern anderer Bands auch sehr kritisch, aber wenn es eine Band schafft, einen fremden Song so zu interpretieren, dass etwas eigenes dabei herauskommt, kann ich daran sehr viel Freude entwickeln. Vielleicht ist es auch einfach Geschmackssache. Maniac zum Beispiel hat mich aus Gitarristensicht sehr gereizt. Das Solo im Original ist großartig und war der eigentliche Stein des Anstoßes, mich an diesem Song an einer Metal-Interpretation zu versuchen. Interessanterweise bekomme ich aus meinem privaten Umfeld gerade zu Maniac mit den besten Zuspruch, wogegen die Presse es eher verreisst. Ich selbst finde es sehr gelungen und wer es nicht mag, soll einfach weiterskippen.


Euer Debüt habt Ihr selber produziert, jetzt hattet Ihr mit Waldemar Sorychta einen schwer angesagten Produzenten an Eurer Seite. Hat Euch Waldemar in den Hintern getreten bei den Aufnahmen oder wo lagen die größten Unterschiede zu den Debütaufnahmen?

Das stimmt so nicht. Unser Debüt haben wir im Klangweltstudio mit zwei Produzenten gemacht - Einmal Hell-G, der uns auch live häufig mischt und Corny, den Trommler von Onkel Tom. Teile der eigentlichen Aufnahme haben wir zwar selbst gemacht, aber das war dieses Mal auch so. Der Hauptunterschied war die Arbeitsweise im Vorfeld. Wir haben sehr intensiv an der Vorproduktion gearbeitet und Waldemar hat zum Teil nochmal massiv in Songstrukturen eingegriffen. Das war zwar etwas, woran wir uns erst gewöhnen mussten, aber am Ende hat sich das wirklich gelohnt.


Thrash Metal ist ja derzeit recht angesagt, fast wöchentlich kommen hochklassige Scheiben raus. Ist das für eine Band wie The Very End eher von Nachteil oder von Vorteil? Die Fans müssen ja irgendwoher das Geld nehmen, um all diese Scheiben zu kaufen. Und wenn es diesen Thrash-Boom nicht geben würde, könnte eine starke Scheibe wie „Mercy & Misery“ ja viel mehr positiv hervorstechen. So gibt’s neue Scheiben von Sodom, Tankard, Onslaught, Pessimist und viele mehr...

Ich sehe das eher als Vorteil. Klar ist der Metalmarkt inzwischen allgemein sehr überfüllt mit Neuveröffentlichungen, aber durch diese aktuell bestehende neue Thrash-Welle ist die Chance eigentlich recht groß, dass Leute, die mal etwas neues suchen, auch auf uns aufmerksam werden.

Ich hab diese Woche das erste Mal die „Lords of depravity“, die Dokumentation über die Karriere von Sodom gesehen, und wenn man sieht, wie chaotisch „damals“ alles abgelaufen ist, wenn man sieht, wie qualitativ mies die ersten Gehversuche der Band waren, kann man sich nur wundern, wie hoch das musikalische Level bei The Very End schon heute ist. Wünscht Du Dir manchmal, dass Du in den 80er Jahren schon aktiv gewesen wärst wie heutzutage? Immerhin scheint es damals leichter gewesen, an einen Plattenvertrag zu kommen und Erfolg zu haben, sonst hätten es Tankard oder Sodom ja wohl auch nicht geschafft.... 

Klar denkt man sich manchmal, was man in den Achzigern alles hätte erreichen können. Aber auf der anderen Seite hätten wir damals sicher nicht so geklungen wie heute. Außerdem möchte ich die modernen Recordingmöglichkeiten nicht missen. Wer einmal mit Bandmaschine aufgenommen hat, weiß, was ich meine. Mir kommt es auch so vor, dass vieles heutzutage sehr verherrlicht wird, was bei genauerer Betrachtung gar nicht so cool war, wie man heute denkt. Ich weiß die heutige Ruhrpott-Metal-Szene sehr zu schätzen und möchte sie in ihrer aktuellen Form auch nicht missen.


Wie läuft denn das Songwriting bei Euch? Angesichts der vielen verschiedenen Einflüsse liegt der „Verdacht“ nahe, dass bei The Very End viele Songwriter am Werk sind.

Genau so ist es. Eigentlich kann sich bei uns jeder kreativ einbringen. Klar macht es der eine mehr und der andere weniger, aber das ist doch normal. Songs können bei uns ganz unterschiedlich entstehen. Manche entstehen gemeinsam im Porberaum, andere sind auch schon komplett am Rechner entstanden. Manchmal werfen wir Songs auch komplett über den Haufen oder machen aus einem Song zwei. Zum Beispiel waren Teile von "Rat Nation" ursprünglich mal in "For all things undone". Wenn möglich, versuchen wir neue Songs auch dem Livetest zu unterziehen, was wir leider aber nur selten schaffen. So haben wir aber zum beispiel „Vultures“ schon früher in einer ganz anderen Version als der jetzigen Studioversion live gespielt. Wir versuchen einfach, den kreativen Prozess so wenig wie möglich durch eigene Scheren im Kopf zu behindern, so dass die Songs ihre entgültige Form häufig erst kurz vor der eigentlichen Aufnahme im Studio bekommen.

The Very End - Mercy & MiseryAuf dem Cover (und auch schon früher) habt Ihr einen Lautsprecher mit Flügeln - seht Ihr Eure Musik auf dem Weg in den Himmel...? Der Bandname würde zwar zu dieser Idee irgendwie passen, doch das Allerletzte seid Ihr ja nun wirklich nicht. Wie kam der Name denn zustande?

Was zur Hölle sollen wir im Himmel (lacht)? Der Bandname war Björns Idee, ebenso wie unser TVE-Motiv mit dem geflügelten Sarg, von dem ich persönlich ein großer Fan bin. Da hat sich der Dicke mal was richtig feines aus der Birne gdrückt (lacht). Ursprünglich sind wir ja lediglich als Projekt gestartet und haben die erste Zeit vornehmlich im Proberaum verbracht und brauchten keinen Namen. Als es dann zum ersten Gig kam musste ein Name her. Jeder, der eine neue Band gründet, kennt wahrscheinlich das Problem - welchen gut klingenden Namen gibt es noch nicht? Die einzige Bedingung, die uns
damals wichtg war, war dass der Name zu den Texten passen sollte. Nach langem hin und her, kam Björn dann mit THE VERY END, was uns allen auf Anhieb gefiel.


Ok. Die letzte Frage: Wieso ist eigentlich tot das neue lebendig?

Ich versteh das auch nicht - Das musst du Björn fragen. Wahrscheinlich ist der einfach bekloppt  (lacht).

 

Lothar Hausfeld (Info)
Alle Reviews dieser Band: